Aus Liebe zum Wahnsinn by Cadeggianini Georg

Aus Liebe zum Wahnsinn by Cadeggianini Georg

Autor:Cadeggianini, Georg [Cadeggianini, Georg]
Die sprache: de
Format: mobi
ISBN: 9783104007878
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2012-03-13T23:00:00+00:00


Janet kommt eigentlich aus New York. Sie hatte einen Schotten geheiratet. Einen richtigen mit Rock und Glatze, nichts drunter und kleinem Sprachfehler. Und sie ist dann in Edinburgh gelandet. Irgendwann saß sie bei uns in der Küche, atmete aus. Tiefer als nötig. Auch sie hatte zwei kleine Kinder: Lachlan und Ruari, zwei Jungs, die gerade Gianna und Elena zeigten, wie britische Hooligans mit Kinderzimmern umgehen.

Janet zog Kopien aus ihrer Handtasche. Die letzte Betriebsfeier, direkt im Büro. Sie habe selten so viel getrunken in ihrem Leben, sagte sie, und sei am Ende doch diejenige gewesen, die darauf geachtet hatte, dass nichts Schlimmeres passierte. Sie hatte dann zumindest noch die Kopien aus dem Kopiererschacht genommen. Wir blätterten. Lippenstiftverschmierte Gesichter, die sich auf eine Glasplatte drücken, dann blankgezogene Brüste. Waren ihre auch dabei? Ich stellte mir vor, wie auf einem Büroflur Menschen sich an irgendetwas Irres erinnerten, was sie mal gehört hatten, das T-Shirt hochzogen und sich in den Kopierer klemmten. Das Irre ins Leben holen – geht das so?

Janet sagte, auf der letzten Party habe es sogar einen fotokopierten Hintern gegeben, blank. Ob das nicht total gefährlich wäre, fragte ich alter Spaßverderber. »Wenn das Glas bricht?«

Janet zuckte mit den Achseln, hörte dem Rauschen umgedrehter Legoboxen zu, verdrehte die Augen. »Ruari!« Dann deutete sie auf Violas Bauch: Sie könnte das ja nicht. Ein Drittes. Dann seufzte sie schon wieder.

Ob sie zum Essen bleiben wollte, fragte Viola. Janet nickte. »Pizza?« Janet zögerte. »Ich mag Pizza ja eigentlich nicht.« Jetzt müsste sie bleiben, sagte Viola. Denn nun ginge es um die Ehre. Klar: selfraising flour, cheddar und so weiter – alles nicht einfach hier. Und trotzdem: Das wäre ein Familienrezept, original. Und das schmeckte jedem.

Die Kinder sprangen von irgendwo hoch oben aufs Bett runter. Regal? Schrank? Vorhangstange? Man hörte immer mal wieder dumpfe Aufschläge, dann Jubelschreie. Bislang heulte keiner.

Ein drittes Kind, sagte Janet und seufzte wieder. Sie könnte sich das nicht mal wirklich vorstellen. Obwohl ihre Wohnung doch zwei Zimmer mehr hatte als unsere. Aber die Zumutung, das Chaos … Wo das denn noch Platz haben sollte? In unserer Wohnung, in unserem Leben?

Ich walkte den Teig, war froh über die Handarbeit. Hatte sie recht? Lassen wir uns einlullen? Fluten wir unseren Alltag mit Stress, damit wir das Leben nicht hören müssen? Immer genug Remmidemmi um sich herum organisieren, damit solche Fragen, was man denn nun eigentlich wolle, worum es einem wirklich gehe, erst gar nicht auftauchen? Sind wir nichts weiter als Erfüllungsgehilfen unserer Kinder? Wofür noch einen eigenen Willen? Es fuchteln ja schon so viele andere in unserem Leben herum. Ich sah Viola ins Gesicht: Sie ließ das kalt. War eben Janet, anderes Model, andere Baustelle, andere Probleme. Henry James lässt seinen Helden in »The American« resümieren: »Oh I have been my own master all my life, and I’m tired of it.« Hat er nicht recht? Hat sich der Individualismus nicht langsam mal überholt? Sicher: Sich mit der eigenen Seele verabreden, sich nicht verbiegen, fühlen, wer man ist – alles tolle Sachen. Andererseits: Was, wenn



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